Einführender Vortrag zur Exkursion des Alsdorfer Geschichtsverein nach Aldenbiesen

Von Joachim Peters

Einführender Vortrag zur Exkursion des Alsdorfer Geschichtsverein nach Aldenbiesen/Belgien am Samstag, 17. Juni 2006

Meine Damen und Herren,
drehen wir für einige Minuten die Zeit um rund 800 Jahre zurück. Wir schreiben das Jahr 1190 und befinden uns im Heiligen Land. Dort führt die abendländische Christenheit ihren dritten Kreuzzug gegen die „UNGLÄUBIGEN“, den Islam. Im Lager des christlichen Heeres vor AKKON wüten Hunger und Seuchen. Da gründen Lübecker und Bremer Kaufleute mit Hilfe ihrer Schiffssegel ein Lazarett für ihre deutschen Landsleute. Die Pflege der Kranken wird einer Laienbruderschaft übertragen. Sie nennt sich „Brüder vom Hospital der Deutschen in Jerusalem, das der heilgen Maria geweiht ist“. Später wird nur noch vom „DEUTSCHEN ORDEN“ oder „DEUTSCHEN RITTERORDEN“ die Rede sein.
Ein Ritterorden, der mönchisches Leben, Pflege der Kranken und militärischen Kampf gegen die „Ungläubigen“ miteinander verbindet, ist der DEUTSCHE ORDEN dann seit 1199. In diesem Jahr weist ihm Papst Innozenz III. diese Aufgaben ausdrücklich zu. Der Papst gibt dem DEUTSCHEN ORDEN die Regel der JOHANNITER für die Krankenpflege, die Regel der TEMPLER für den Heidenkampf. Vom TEMPLERORDEN übernehmen die DEUTSCHORDENSRITTER auch Äußerliches: das weiße Gewand mit dem schwarzen Kreuz.
Im Verlauf seiner weiteren Geschichte erwirbt der DEUTSCHE ORDEN, der sich vorwiegend aus dem niederen Adel rekrutiert, Stiftungen und Schenkungen außerhalb seines ursprünglichen Aktionsgebietes Palästina. Spätestens seit dem Fall Akkons 1291 und dem Verlust des Heiligen Landes liegt der Schwerpunkt der Ordenstätigkeit in PREUSSEN. 1225 ruft der polnische Herzog KONRAD VON MASOWIEN den DEUTSCHEN ORDEN zu militärischer und missionarischer Hilfe gegen die heidnischen PRUZZEN in sein Land. Dem DEUTSCHEN ORDEN gelingt es, in den von ihm eroberten Gebieten ein eigenes Herrschaftsgebiet aufzubauen: den PREUSSISCHEN ORDENSSTAAT. Der Hochmeister des Deutschen Ordens nimmt als nunmehr souveräner Herrscher 1309 seinen Sitz auf der MARIENBURG bei Danzig. Als die eigentlichen Missionsaufgaben des DEUTSCHEN ORDENS im Osten erfüllt sind, gerät er in machtpolitische Konflikte mit dem POLNISCH-LITAUISCHEN GROSSREICH. In der (1.) Schlacht von TANNENBERG (Grunwald) muss der DEUTSCHE ORDEN am 15. Juli 1410 eine entscheidende Niederlage gegen das polnisch-litauische Heer hinnehmen. Nach einem weiteren, 13 Jahre andauernden Krieg gegen Polen und eigene aufständische Untertanen verliert der Ordensstaat im FRIEDEN VON THORN 1466 den westlichen Teil seines Landes. Das Ende des alten Ordensstaates läutet Hochmeister MARKGRAF ALBRECHT VON BRANDENBURG 1525 mit dem Übertritt zur Reformation selbst ein: Der Ordensstaat wird ein säkulatisiertes, erbliches und von Polen lehensabhängiges Herzogtum. Zu diesem Zeitpunkt ist wahrlich noch nicht absehbar, dass dieses von Polen abhängige Preußen einmal zur „Nummer 1“ im Deutschen Reich und sogar zu einer europäischen  Macht aufsteigen wird.
Der Machtverlust im Osten tut den Besitzungen des DEUTSCHEN ORDENS im Deutschen Reich keinen Abbruch. Der Hochmeistersitz wechselt von der Marienburg nach MERGENTHEIM. Der Zusammenbruch erfolgt erst mit der Aufhebung des Ordens durch NAPOLEON im Jahre 1809. Aber es ist keine endgültige Vernichtung: 1835 ersteht der DEUTSCHE ORDEN als habsburgischer „Hausorden“ – Hochmeister sind immer österreichische Prinzen – neu. Seit 1934 ist er ein rein geistlicher Orden, dessen Brüder wir in Deutschland, Österreich und in den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien finden.
Wir brauchen unseren Blick nicht in die Ferne zu lenken, um auf Spuren der 800-jährigen Geschichte des DEUTSCHEN ORDENS zu stoßen. Unweit von Maastricht, aber schon auf belgischem Boden, liegt im Tale einer schönen Landschaft, die BALLEI von ALDENBIESEN. Dort schenkten im Jahre 1220  ARNULF II., Graf von Loon, und seine Schwester MECHTILDIS, Äbtissin der benachbarten Benediktinerabtei Munsterbilzen, dem DEUTSCHEN ORDEN eine Marien-Wallfahrtskapelle mit Lehen und Ackerland. Deutschordensritter errichteten dort ein Haus, das zusammen mit anderen Ordensniederlassungen seit 1228 eine selbständige Verwaltungseinheit des DEUTSCHEN ORDENS in unserer Region bildete: eine BALLEI. Sie unterstand wie alle zwölf Balleien im Reich der Herrschaft jeweils eines LANDKOMTURS. Dieser Komtur verwaltete und bewirtschaftete die Domäne gemeinsam mit dem Konvent aller Ritter. Unterstellt waren die Landkomture, also auch jener von Aldenbiesen, dem jeweiligen Hochmeister des Deutschen Ordens.
Der Aldenbiesener Landkomtur WINAND VAN BREYEL ließ ab 1543 den spätmittelalterlichen Gebäudebestand der Ballei Aldenbiesen durch ein stattliches, repräsentatives WASSERSCHLOSS ersetzen. Sein Nachfolger JAN VAN GOER vollendete das vierflügelige Hauptgebäude und stellte 1571 die dreiflügelige Vorburg als Dienstgebäude zum größten Teil fertig. Im 16. und 17. Jahhrundert stellte sich Aldenbiesen als ein repräsentativer Prachtbau dar: eine gepflegte Unterkunft für Ritter, ein solides Führungszentrum für die untergeordneten KOMMENDEN, ein geräumiger Hof für die Nutzung der eigenen Besitzungen, eine Kapelle vermutlich mit einem Hospital für geistige und leibliche Krankenhilfe, schließlich ein Gasthof zur Bewirtung von Fremden.
Landkomtur GRAF HENDRIK VON WASSENAER VAN WARMOND begann in seiner Amtszeit von 1690 bis 1709 damit, das Schloss zu einer SOMMERRESIDENZ umzubauen. Um das Wasserschloss wurden barocke Gärten angelegt, der nordöstliche Teil des Schlosses als „Appartement“ eingerichtet. Davon sind geblieben die Orangerie und das Kabinett mit der homogenen Wandbekleidung. Von Wassenaers Nachfolger, KARDINAL VON SCHÖNBORN, beauftragte schließich den Lütticher Baumeister GILLU DOYEN mit dem Umbau des Wassersclosses zu einer spätbarocken Residenz.
Diesem Höhepunkt des herrscherlichen Selbstverständnisses der Aldenbiesener Landkomture folgte rasch der Fall: Am 17. März 1795 beschlagnahmte die französische Besatzung Schloss Aldenbiesen. Das Kleinod des Looner Landes wurde 1797 öffentlich versteigert und ging in den Privatbesitz des damaligen Bürgermeisters von Hasselt und seiner Familie über. Am 8. März 1971 legte ein Brand das Hauptgebäude der ehemaligen Ballei Aldenbiesen in Schutt und Asche. Daraufhin kauften der belgische Staat und die Provinz Belgisch-Limburg dem letzten Eigentümer Gebäude und Domäne ab. Heute ist Aldenbiesen Kulturzentrum der Flämischen Gemeinschaft und auf dem Wege, ein regionales und vielleicht sogar europäisches Kongress- und Begegnungszentrum zu werden.
Diese Denkmalpflege á la Belgien hebt sich übrigens positiv von einer Kulturschande direkt vor unserer Haustür ab. Im benachbarten Siersdorf verfällt seit den Kriegsschäden von 1944 ein Gebäude, das ebenfalls eng mit der Geschichte des DEUTSCHEN ORDENS in unserer Region verbunden ist, Es ist eine Kommende, ein ehemals prächtiges Schloss mit Verwaltungsgebäude, das während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit Aldenbiesen unterstellt war. Über einen langen Zeitraum stellten Mitglieder der Familie von Reuschenberg aus Setterich den Siersdorfer Komtur. Einer von ihnen, Heinrich von Reuschenberg, stieg sogar zum Landkomtur von Aldenbiesen auf. Wen der Anblick der Siersdorfer Ruine schmerzt, wird wenigstens durch den Besuch der benachbarten Pfarrkirche entschädigt. Sie gehörte auch einst dem Deutschen Orden und beherbergt Kleinode des 16. Jahrhunderts wie einen flämischen Schnitzalter und einen Lettnerbogen. Auf dem Scheitel des Bogens steht die Patronin des Deutschen Ordens, die uns schon bei seiner Namensgebung von 1190 begegnet ist: die Gottesmutter Maria im Strahlenkranz.