Jack Aldewereld: Für die Menschlichkeit!
|Am 23. März 2024 besuchten Jack Aldewereld und seine Ehefrau Ina auf Initiative von Eberhard Malecha
den Alsdorfer Geschichtsverein. Der Brunssumer Ehrenbürger berichtet über sein Leben und Schicksal als „on-derduikt Kind“ während der Judenverfolgung in den Niederlanden.

Zum Auftakt: Die historische Hinführung
Über Hitler, die Reichspogromnacht 1938, den 10. Mai 1940 mit dem Überfall der deutschen Armee auf die neutralen Niederlande, den 14. Mai 1940 mit der sinnlosen Bombardierung Rotterdams wird der Bogen zur Judenverfolgung in den Niederlanden gespannt. Thema sind die deutsche Militärverwaltung, unter-stützt durch eine halbe Millionen Niederländer, die sich dem NSB (Nationaal-Socialistische Beweging) anschließen, die Verfolgung und Deportation von Juden, Sinti und Roma, die Hinrichtung von Bergarbei-tern, die aus Protest die Arbeit verweigern, die Wannseekonferenz, der Holocaust. Dann leitet Jack Alde-wereld über zur Gegenwart und beschreibt sein und seiner Frau Entsetzen sowohl über das jüngste Wahl-ergebnis in den Niederlanden als auch das Treffen „alter Nazis“ in Potsdam. „Wir müssen uns wehren. Geht zur Demonstration für Demokratie am 13. April!“
Ein besonderes persönliches Schicksal
Als Jack Aldewereld und seine Frau Tini in Brunssum heiraten, fallen Unstimmigkeiten in seinen Papieren auf. Jack Aldewereld, in Brunssum aufgewachsen, wird mit seiner ihm bis dahin völlig unbekannten Her-kunft konfrontiert: Seine Eltern, Henk Muis und seine Frau, ein bis dahin kinderloses Ehepaar, nahmen ihn 1943 als 6 Monate altes Baby und als ihr eigenes Kind mit dem Namen Henkie Muis auf. So retteten sie ihn vor der NS-Judenverfolgung.


Er forscht nach, setzt einen Artikel mit einem Aufruf in die Zeitung und wird in das Dorf Uithoorn eingeladen (in der Nähe des Flughafens Schiphol im Großraum Amsterdam). Dort haben seine Eltern und Geschwister gelebt, er trifft Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen der Eltern und der Familie, von einer Nachbarin bekommt er Besteckteile, die ihr von seiner Mutter anvertraut waren. Es sind ihm ungeheuer wertvolle, einzigartige Erinnerungsstücke an seine Eltern.
Und er erfährt die schreckliche Wahrheit: Kurz nach seiner Geburt am 2. März 1943 wurde die Familie bei einer Razzia verhaftet und abgeführt. Aus der Nachbarschaft war gerade „Oma Fisser“ zu Besuch und konnte ihn als Baby an sich nehmen. Seine siebenjährige Schwester sollte unmittelbar zuvor das Kaffeewasser aufsetzen, verbrühte sich dabei und war unterwegs zu einem Arzt, sie kehrte in ein leeres Haus zurück. Sie überlebte Krieg und Verfolgung, von dem Trauma des plötzlichen Verlustes der Familie erholte sie sich nicht. Sie sprach nie mehr über diese Zeit.
Die Eltern und die beiden Brüder wurden zur „Hollandse Schouwburg“ in Amsterdam verbracht. Die Hollands Schouwburg ist das am Rande des jüdischen Viertels in Amsterdam gelegene berühmte jüdische Theater, das seit 1942 als Sammellager für die Deportation der in Amsterdam und Umgebung verhafteten Juden missbraucht wurde. Von dort wurden sie in das Lager Westerbork gebracht. Der Vater und die Brüder von dort nach Sobibor und die Mutter nach Auschwitz. Der Transport erfolgte über eine dreitägige Fahrt in Viehwaggons. Dort, so betont Jack Aldewereld, sind sie nicht einfach umgekommen, sondern auf barbarische Weise ermordet worden.
Er selbst wurde vom „Verzet“, dem Widerstand nach Brunssum geschmuggelt, wo er seitdem lebt. Er stellt sich seiner Vergangenheit und nimmt seinen Geburtsnamen Jack Aldewereld an

Brunssum – Ort der Hilfe
Bei seinen weiteren Nachforschungen erfährt er, dass nicht nur er, sondern insgesamt 251 jüdische Kinder in Brunssum – einer Kleinstadt mit weniger als 30.000 Einwohnern – aufgenommen und versteckt wurden und so den Krieg und den Holocaust überleben konnten. Er berichtet von der Widerstandsgruppe in Amsterdam (nv-group), einige wenige junge Leute zwischen 17 und 28 Jahre alt, die Kinder aus der Kinderkrippe hinter der Schouwburg unter den Augen der Nazis herausholen. Die blonden Kinder werden nach Friesland geschmuggelt, die dunkelhaarigen in die Limburger Bergbauregion gebracht, insbesondere nach Brunssum. Ein dort ansässiger Spediteur bringt die Kinder und andere Flüchtlinge in leeren Kohlelastwagen auf dem Rückweg von Amsterdam nach Brunssum – in seine neben dem von der SS bewachten Wasserwerk gelegene Spedition. Natürlich blieb den Einwohnern die Vielzahl der Flüchtlinge nicht verborgen. Doch sie schwiegen, niemand – auch die NSBler, die Mitglieder der NS-Organisation der Niederlande – verriet die Kinder.

Die Mission von Jack Aldewereld
Er berichtet weiter von der Suche nach dem jungen Priester, der die Flüchtlinge in der Krypta seiner Kirche versteckte, die Suche nach weiteren Helfern, den Mühen der Anerkennung dieser großartigen Hilfe für die verfolgten Juden in Brunssum durch Yad Vaschem. Die Zuhörer spüren sein Engagement und sein inniges Anlie-gen, die Opfer und die Helfer nicht der Vergessenheit anheim fallen zu lassen, und vor allem der Jugend klar-zumachen: Engagiert euch, setzt euch ein für eine menschenwürdige Welt und lasst nicht zu, dass die unvor-stellbaren und barbarischen Schrecken der Vergangenheit, der NS-Zeit sich wiederholen. Das schulden wir den Opfern des National-Sozialismus und denjenigen, die sich unter Einsatz Ihres Leben für die Menschlichkeit entschieden haben.

Am Schluss des überzeugenden Vortrags stehen eine Einladung an den Alsdorfer Geschichtsverein nach
Brunssum mit einem Rundweg auf den Spuren der „untergetauchten Kinder“ und ihren Helfern unter Führung von Jack Aldewereld und einer Teilnahme am „Nationale Dodenherdenking“ am Abend
des 4. Mai.
Weitere Informationen im Internet:
Het verhaal van Jack Aldewereld – Vertrouwen (Film in Niederländisch)
https://www.youtube.com/watch?v=ZfIK4LVj6Lo
BRUNSSUMSE ONDERDUIK
https://www.brunssumseonderduik.nl/
Hollandsche Schouwburg – Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Hollandsche_Schouwburg
Franz-Josef Müller / 24.03.2024