Als die Reformation ihre Unschuld verlor

Von der Freihaitt Aines Christenmenschen

„Von der Freihaitt Aines Christenmenschen“ von Martin Luther. Gedruckt von Jörg Nadler, Nürnberg, 1520 (Österreichische Nationalbibliothek, Sign. *35.R.181)
Von Wolfgang Sauber – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

 

Wilfried Egerland referierte über Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ und ihre Folgen

Von Joachim Peters

Wilfried Egerland, aktives Mitglied im Würselener Geschichtskreis, beendete mit seinem Referat über Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ aus dem Jahre 1520 die Vortragsreihe des Alsdorfer Geschichtsvereins zum Jubiläumsjahr „500 Jahre Reformation“. Der pensionierte Deutsch- und Erdkundelehrer arbeitete dabei im gut besuchten St. Castorhaus akribisch an der schriftlichen Quelle die Grundaussagen der Schrift heraus. Dann beleuchtete er ihre Folgen und ordnete sie in den Gesamtgang der Reformation ein.

Epochenjahr 1520

In vielerlei Hinsicht, so Egerland, war „1520“ ein bedeutsames Jahr für die von Luthers Wittenberger Thesenanschlägen (1517) ausgehende Reformation in Deutschland. In diesem Jahr nämlich entstanden gleich drei wichtige Schriften Luthers: „An den christlichen Adel Deutscher Nation“, „Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ und eben „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Alle drei Schriften bezeichnete Egerland dank des Gutenbergischen Buchdrucks als damalige „Bestseller“, wobei die Wortgewalt Luthers ein Weiteres für die Verbreitung und Wirkung seiner darin vertretenen Ideen tat. „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ gibt es in zwei Fassungen – deutsch und lateinisch -, wobei die lateinische Fassung Papst Leo X. mit einem Anschreiben zugesandt wurde. 1520 ist auch das Jahr, in dem Papst Leo seine Bann-Androhungsbulle gegen die Schriften und die Predigten Luthers verfasste. Rein rhetorisch ist „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ gemäßigter abgefasst als die anderen Schriften, wenngleich ihre Folgen bis hin zu den gewaltsamen Bauernkriegen von 1525 reichte. Die dialektischen Leitsätze der Schrift lauten: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“. Luther vertritt eine Zwei-Naturen-Lehre des Menschen und erkennt eine geistliche Natur (Seele, der innere Mensch) und eine fleischliche Natur (Körper, äußerer Mensch). Auf die Frage: „Was macht den geistlichen Menschen frei?“ gibt Luther die Antwort: „Allein das Evangelium, das Wort Gottes, das von Christus spricht“. Allein der Glaube mache frei. Zwar enthalte die „Gesetz“ (das  Alte Testament) Handlungsanweisungen. Aber der Mensch sei nie in der Lage, diese vollkommen zu erfüllen, was die Gefahr der Verzweiflung beinhalte. Seligkeit und Gerechtigkeit könne er nur durch die Gnade Gottes, die ein Geschenk sei, erreichen. Dese Verheißung lehre das Neue Testament. Damit sei der Mensch frei vom religiösen Leistungszwang, sich sein Heil bei Gott selbst VERDIENEN zu müssen. Der Glaube (sola fide) und die selbstlose Motivation bei den Handlungen sei das Entscheidende, nicht der Erfolg. Grundlage aller Freiheit aber, so postuliert Luther, sei die Bindung an Gott.

„Gedenkjahr“, aber nicht „Jubiläumsjahr“

Wenngleich moderat in den Formulierungen, bot „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ auch Sprengstoff für die vom Mühlhausener Theologen und Reformator Thomas Müntzer angefachten Bauernkriege. „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan“. Dies verstand Thomas Müntzer auch als Aufforderung zur Änderung der sozialen, politischen Realität. Dem widersprach aber Luthers von Paulus übernommene Lehre: Seid untertan der Obrigkeit! Hatte Luther anfangs noch sowohl Kritik an den ausbeuterischen Fürsten und Grundherren wie an den aufständischen Bauern geübt, so erging er sich später in unsäglichen Schriften und Reden gegen die „aufrührerischen Rotten“, bis hin zur Aufforderung zu ihrer Ausrottung mit Feuer und Schwert. Die Reformation und der Reformator Luther hatten damit ihre anfängliche Unschuld verloren. Egerland: „Eine Entfremdung zwischen Luther und dem Volk begann. Um Luther herum wurde es einsam. Und aus einer Volksreformation wurde eine Fürstenreformation mit den Landesherren als obersten Bischöfen“. Aufgrund der Exzesse der Reformation spreche er auch lieber von einem Reformations-„Gedenkjahr“ anstatt von einem Reformations-„Jubiläumsjahr“.